7. April Weltgesundheitstag: Was immunisiert gegen die soziale Krise?

Wer jetzt Risse im sozialen System beseitigt, verhindert Brüche, nicht nur in der Biographie der Betroffenen, sondern im gesamten gesellschaftlichen Gefüge. Dementsprechend lautet die zentrale Forderung der WHO anlässlich des Weltgesundheitstags am 7. April: „Gesundheit für alle: denn niemand ist sicher, bevor wir nicht alle sicher sind“.
Auch die regionalen Armutsnetzwerke in ganz Österreich und die bundesweit tätige Armutskonferenz machen darauf aufmerksam. Ein stabiles System sozialer Sicherheit kann eine Pandemie nicht verhindern aber helfen, die Lasten der sozialen Krise abzufedern und damit die Gefährdung für uns alle zu reduzieren.
Denn Bruchlinien im Sozialsystem werden unter den Belastungen der Pandemie und der Krise zu Brüchen, die uns alle gefährden.

Statt bestehende Lücken zu schließen und das System sozialer Sicherheit krisenfest zu machen, hat das NÖ Sozialhilfeausführungsgesetz, das mit Jänner 2020 in Kraft getreten ist, die Gefahr der Ausbreitung von Armut erhöht. Besonders dramatisch in Zeiten einer Pandemie:  Menschen mit humanitärem Aufenthalt in Niederösterreich werden nicht nur den Folgen der Krise schutzlos überlassen, indem ihnen die Mittel für den Wohn- und Lebensbedarf verwehrt werden, sie werden auch von der Krankenversicherung und damit jeglicher medizinischer Versorgung ausgeschlossen.

 

Bereits im davor bestehenden System der Mindestsicherung gab es Lücken, doch statt diese zu schließen, um Schutz in der Krise zu bieten, gefährdet das im NÖ Landtag beschlossene Sozialhilfe Ausführungsgesetz die Gesundheit jener, denen es Unterstützung in einer Notlage verwehrt.

Vor der im Juni 2019 beschlossenen Gesetzesänderung gab es immerhin die Möglichkeit, im Einzelfall und zur Verhinderung einer sozialen Notlage Unterstützung zu gewähren. Die Entscheidung darüber oblag der vollziehenden Behörde, also der Bezirksverwaltungsbehörde, konkret dem Sozialamt (Amt für Soziale Verwaltung).
Diese Möglichkeit der Behörde anhand der konkreten Lebenssituation Betroffener zu entscheiden, ist den Bezirksverwaltungsbehörden durch das neue Gesetz verwehrt.
Mit dramatischen Folgen für betroffene Frauen, Männer und Kinder. So verlor beispielsweise Herr M. ein 65 jähriger dialysepflichtiger Mann seine Krankenversicherung, Frau W. eine alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen weiß nicht wo sie und ihre Kinder bei Bedarf medizinische Versorgung bekommen, geschweige denn, wo sie sich und ihre Söhne für eine Corona Impfung anmelden kann.

Als NÖ Armutsnetzwerk bündeln wir die Erfahrung von haupt- und ehrenamtlich engagierten Personen und 26 Organisationen aus ganz Niederösterreich. Doch alle ehren- und hauptamtlichen Helfer*innen sind hilflos, wenn stabile und verlässliche Schutzmechanismen fehlen umso wichtiger ist es daher jetzt bestehende Versorgungslücken zu schließen.“ so Barbara Bühler, Obfrau des NÖ Armutsnetzwerks
Was braucht es um die  „Immunabwehr“ gegen individuelle und soziale Krisen zu stärken und dem Motto des Weltgesundheitstags „Eine gerechtere und gesündere Welt zu bauen“Rechnung zu tragen?

  • Soziale Menschenrechte als Verfassungsrechte anerkennen (siehe Entwurf Armutskonferenz „Bundesverfassungsgesetz soziale Sicherheit“)
  • Abbau bürokratischer Hürden: Antragstellung vereinfachen, Antragstellung unabhängig von der Verfügbarkeit digitaler Medien und Know How des/ der Betroffenen ermöglichen
  • Versorgungslücken schließen. Unter anderem, die medizinische Versorgung für alle Menschen in NÖ sicherstellen.
  • Existenzsichernde Richtsätze. Die gültigen Richtsätze der Sozialhilfe orientieren sich an fiktiven Annahmen, beispielsweise werden die in den letzten Jahren massiv gestiegenen Mietpreise nicht berücksichtigt.
    Es braucht eine Orientierung an den tatsächlichen Kosten, die die Menschen zu bewältige haben.

Wer jetzt Bruchlinien beseitigt, verhindert Brüche, nicht nur in der Biographie der Betroffenen sondern im gesellschaftlichen Gefüge. „Niemand ist sicher, bevor wir nicht alle sicher sind.“  Darauf machen anlässlich des Weltgesundheitstags am 7. April  regionale Armutsnetzwerke in ganz Österreich und die bundesweit tätige Armutskonferenz aufmerksam und fordern dazu auf bestehende Lücken in der Gesundheitsversorgung zu schließen, damit niemand der Krise schutzlos überlassen wird.


Für Rückfragen: Barbar Bühler armut_in_noe@gmx.at

 

1 „Building a fairer, healthier world“: https://www.who.int/campaigns/world-health-day/2021

2 Studien: Bericht zur 1. Welle Covid 19, Mental Health

https://www.meduniwien.ac.at/hp/fileadmin/sozialmedizin/pdf/Mental_Health_Austria_Bericht_Covid19_Welle_I_Mai19_2020.pdf

Armutsbetroffene und die Corona Krise

https://www.sozialministerium.at/Services/News-und-Events/Archiv-2020/Dezember-2020/Armutsbetroffene-und-die-Corona-Krise.html

3https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrNO&Gesetzesnummer=20001239

4https://noe-landtag.gv.at/sitzungen/XIX/2019-06-13#top7

5 „Building a fairer, healthier world“

6 www.armutskonferenz.at/news/news-2020/100-jahre-verfassung-armutskonferenz-legt-gesetzesentwurf-fuer-soziale-menschenrechte-vor.html

7 Betrug die durchschnittliche Bruttomiete inkl. Betriebskosten in NÖ im Jahr 2009 noch 361 Euro, so waren es im Jahr 2019 bereits 509 Euro.  Das entspricht einer Zunahme von 41% (Quelle: Sozialstatistisches Handbuch AK Niederösterreich, Ausgabe 2020 Seite 121). Der Wohnanteil der Sozialhilfe für eine alleinstehende Person die Mietkosten in der entsprechenden Höhe nachweisen kann beträgt im Jahr 2021 maximal 379, 78 Euro, liegt also deutlich unter den durchschnittlichen Mietkosten.